Teil 1:
In sehr vielen Fitnessstudios wird sehr oft darauf hingewiesen, dass tiefe Kniebeugen aufgrund der hohen Kniebelastung nicht ausgeführt werden sollten. Moderne Untersuchungen zeigen jedoch immer mehr das Gegenteil auf und propagieren eine volle Bewegungsamplitude. Doch was ist nun richtig und warum? In diesem Artikel wollen wir dieses Thema evidenzbasiert durchleuchten.
Vorab gilt zu sagen, dass jeder Kniewinkel seine Besonderheiten mit sich bringt und durch verschiedene Proportionen, Gelenkseigenschaften und auch Technik sehr individuell betrachtet werden sollte. Im statistischen Mittelwert passiert bei folgenden Winkelgraden der Kniebeuge folgendes:
15 – 30 Grad: Zu vermeiden bei Vorbelastungen, Verletzungen und kürzlichen OPs am vorderen Kreuzband.
0 – 60 Grad: Maximale vordere Scherkräfte – Zu vermeiden bei Schienbeinproblemen (shin splints).
10 – 70 Grad: Maximale EMG Werte ischiocrurale Muskulatur Zu vermeiden bei muskulären Beschwerden im hinteren Oberschenkel wie Zerrungen, da diese ansonsten wieder akut ausbrechen können. Es kann aber durchaus als fokussiertes Training dieser Muskulatur eingesetzt werden.
90 – 130 Grad: Maximale Kompressionskräfte und stärkste Belastung im voderen Oberschenkel – Zu vermeiden bei bereits starken Abnutzungserscheinungen oder chronischen Problemen in druckforcierten Knorpeln, allen voran am Meniskus da dieser zu den häufigsten Problemstellen im Knie zählt und besonders zu beachten ist. Druckwechselbedingungen und Übungsmassnahmen sind in diesem Fall mit dem Arzt und Physiotherapeuten festzulegen.
Für Hypertrophiezwecke eignet sich diese Kniebeugetiefe für den forcierten Aufbau der vorderen Oberschenkelmuskulatur, da wir hier die größten EMG Werte für den Quadriceps feststellen können
Ab 90° aufwärts maximale EMG Werte für die Gesässmuskulatur. Wer seine Gesässmuskulatur mit Kniebeugen trainieren will sollte möglichst tief gehen
Was bedeutet das in der Praxis
Tiefe Kniebeugen sind für gesunde Leute die einen optimalen Muskelwachstum erzielen wollen essentiell, doch Vorsicht – die tiefe Kniebeugen bietet ganz andere Gefahren.
1. Wir sind es im Alltag nicht gewohnt tiefe Kniewinkel zu kontrollieren. Somit kommt es im unteren Bereich oft zu Instabilitäten und Ausweichbewegungen aus der optimalen Beinachse. Dies muss unbedingt zuerst trainiert werden, bevor wir tief gehen.
2. Aufgrund der Hüftanatomie und Beweglichkeit sind viele Leute nicht in der Lage tief zu beugen ohne die Lendenwirbelsäule zu beugen. Der sogenannte “Buttwink” verstärkt die Belastung auf die lumbalen Bandscheiben deutlich. Doch gibt es immer noch kein Beweis, dass das wichtig in Bezug auf die Entstehung von Rückenbeschwerden ist.
Fortsetzung folgt
Ein Artikel geschrieben von Andreas Jandorek
Teil 2:
Die Angaben der Winkelgerade für die Kniebeuge ist etwas mit Vorsicht zu genießen. Hier ein paar Faktoren die da noch mit reinspielen. Wenn wir die größten Kräfte und EMG Werte in verschiedenen Winkelgraden vergleichen wird nicht berücksichtig, dass wir bei einer tiefen Kniebeuge deutlich weniger Gewicht verwenden können, als bei einer halben Kniebeuge. Dies sollte also die Angst vor gröberen Belastungen etwas reduzieren.
Die Geschwindigkeit in der wir in die Hocke gehen bzw. die Bewegung abbremsen spielt eine sehr wesentliche Rolle bei der Belastung auf die jeweiligen Strukturen. Wenn wir die Gelenksbelastung geringer halten wollen und dafür maximale muskuläre Aktivierung erreichen wollen, benutzen wir eine langsame Absenkphase und evtl. einen kurzen Stopp in der unteren Position.
Abschließend kann man sagen, dass die Kniebeugetiefe nicht für jeden pauschalisiert werden kann und an Zielsetzungen und Vorgeschichte angepasst werden sollte. Was auch sehr wichtig zu verstehen ist, dass unser Körper in der Lage ist auf Belastungen zu reagieren und diese nicht prinzipiell aufs Minimum reduziert werden sollte, sondern gezielt an die eigene Belastbarkeit. Dies ist leider alleine nicht immer so einfach zu bestimmen.